Selbstverwirklichung.

Ich habe ein Jahr gebraucht, um es einzusehen. Zuerst finde ich es grotesk, ihr Fazit: daß ich in zehn Jahren nichts zu ihrer Selbstverwirklichung beigetragen habe. Sie spricht in aller Ruhe. Ich habe sie auf Händen getragen: die bequemste Art, umzugehen mit einer Frau, und die schlimmste Art. Das sehe ich ein. Ihr Vorwurf trifft mich anders, als sie ihn meint. Offenbar habe ich mich von Anfang an verhalten, als sei ich Gottvater oder mindestens Adam, das Weib aus seiner Rippe gemacht: KOMM, FOLGE MIR, ICH LEITE DICH! Die Frau ist nicht undankbar, sondern verzweifelt. Was ich für unsere schönen Jahre gehalten habe, plötzlich erscheinen sie als verlorene Jahre. Mein Laster: MALE CHAUVINISM. Nur mein Verhalten von Anfang an und von Tag zu Tag hat eine kluge Frau verleiten können zu der Meinung, ihre Selbstverwirklichung sei Sache des Mannes, der Männer.

Max Frisch - Montauk